Die Meinung am Freitag, 02.03.2018, von Hermann Kuhn

Ich meine, dass wir in der Syrien-Frage über unsere Ratlosigkeit sprechen müssen, um aus ihr herauszukommen.

01.03.18 –

Ich meine, dass wir in der Syrien-Frage über unsere Ratlosigkeit sprechen müssen, um aus ihr herauszukommen.

Wer sich in einem politischen Kommentar zu Wort meldet, der will in der Regel die Welt erklären, Forderungen begründen, Ratschläge geben. Hier soll aber von tiefer Ratlosigkeit die Rede sein. Von meiner Rat- und Mutlosigkeit, die mich (fast) dazu bringt, die Nachrichten über Syrien nicht mehr sehen zu wollen, die jüngsten Nachrichten über die türkische Überschreitung der Grenzen, über die Bombardierung von Ost-Ghouta durch syrische und russische Flugzeuge, über das erneute unerträgliche Leiden der Menschen.

Analysen der „unübersichtlichen“ Lage in Syrien gibt es genug. Aber so unübersichtlich ist sie nicht, dass wir nicht wüssten, dass der syrische Präsident Assad seit Jahren, bis zum Ende, Krieg gegen das eigene Volk führt; dass inzwischen (auch weil wir anderen nicht geholfen haben) diejenigen Rebellen gegen Assad am stärksten sind, die ihrerseits auch am radikalsten und rücksichtslosesten sind („islamistische“ Gruppen); dass der Iran nach dem Irak auch Syrien für seinen Kampf um inner-muslimische Vorherrschaft nutzen will; dass der Krieg der USA gegen den Irak den Boden für diese große Wirrnis vorbereitet hat; dass Russland hier ohne Bedenken Krieg führt für seinen Einfluss, dass die Türkei usw. usf. Das Ergebnis ist: In Syrien bombt heute jeder wie er will, und die „Waffenruhen“ wie nach Aleppo haben nur die Angriffe von heute vorbereitet. Die Institutionen des Völkerrechts und damit das Völkerrecht sind weitgehend paralysiert.

Ich möchte hier aber über uns, über mich sprechen, über meine Sprachlosigkeit, über mein Gefühl der Ohnmacht. Ich schäme mich, wenn ich wegsehen will. Vor 50 Jahren sind wir doch gegen den Krieg in Vietnam auf die Straße gegangen, die Bilder eines kleinen Kindes haben eine Generation in Bewegung versetzt. Ja, da waren scheinbar Gut und Böse klar verteilt; das scheint heute schwerer zu sein. Und ja, wir hatten die richtige Hoffnung, nicht allein zu sein, etwas bewirken zu können, Resonanz zu haben auch in den kriegführenden Ländern. Wir haben uns getraut, Partei zu ergreifen. Versuchen wir das heute überhaupt noch oder lassen wir uns lähmen von dem Schrecken, dass Aggression, Krieg und erbarmungslose Gewalt so in unsere Welt zurückgekehrt sind?

Wie gesagt, ich habe hier keine Forderung zu erheben, keinen Ratschlag zu geben. Ich möchte nur einen Wunsch an uns formulieren: dass wir weiter hinsehen; dass wir uns nicht herausreden damit, dass die Lage in Syrien nicht zu verstehen sei; und vor allem, dass wir uns in der gefühlten Ohnmacht nicht einrichten und uns nicht kleinmachen. Denn vielfältiges, öffentliches Eintreten für elementare Rechte der syrischen Bevölkerung kann doch immer noch Großes bewirken. Kann. Das sind wir auch uns schuldig und den Menschen, die aus Syrien hierher zu uns geflohen sind.