Die Meinung am Freitag, 18.01.2019, von Heidi Tilliger

Ich meine, ob Robert Habeck den "sozialen" Medien den Rücken kehren darf, nicht darf oder soll ist die völlig falsche Frage.

17.01.19 –

Ich meine, ob Robert Habeck den "sozialen" Medien den Rücken kehren darf, nicht darf oder soll ist die völlig falsche Frage.

Raus aus Facebook und Twitter oder unbedingt bleiben? Da gibt es diejenigen, die meinen ein Politiker müsse zwingend dort vertreten sein. Und dann wird Reichweite und Bürgernähe gegen Privatsphäre abgewogen. Aber hinterfragt denn bitte auch mal jemand, was das für unsere Demokratie bedeutet, wenn Politiker gezwungen sind, ihre politische Arbeit auf einem US-Amerikanischen Produkt auszuüben, das noch dazu eigenmächtig entscheidet, ob, wann und an wen es diese Information verbreitet? Und es gibt diejenigen, die meinen man dürfe solche Plattformen gar nicht unterstützen.

Aber viele Menschen haben heute keine Wahl, weil auf diesen Plattformen schon so viel gesellschaftliches Leben organisiert wird, dass man z.B. an Schule, Studium, Sport, Hochzeiten, Veranstaltungen sonst teilweise gar nicht mehr teilnehmen kann. Ehrlich gesagt ärgert mich die Polarisierung in dieser Fragestellung etwas, weil es für mich an unserer eigentlich wichtigen grünen Forderung vorbeigeht, nämlich der, dass in dieser Frage jeder Mensch eine echte Wahlfreiheit haben sollte. Das Internet inklusive der sozialen Medien bietet auch viele unglaubliche positive neue Möglichkeiten, wäre es nicht toll, wenn man diese nutzen könnte, ohne dass die Demokratie oder die eigene Privatsphäre darunter leidet? Und wäre es nicht auch toll, wenn man vom gesellschaftlichen Leben nicht ausgeschlossen würde, wenn man sich dagegen entscheidet? Die Technologie ist weder gut noch böse. Ob sie uns unterstützt oder uns schadet ist eine Frage der politischen Gestaltung. Deswegen sollten wir diskutieren, was sich an den Social Media Plattformen dazu ändern muss. Die Plattformen sind nicht neutral.

In der aktuellen Diskussion um Roberts Entscheidung wird gerne auch behauptet, Social Media hätte lediglich das ins Digitale verlagert, was zuvor nur an Stammtischen gesagt wurde. Das ist falsch. Der Gewinn der Plattformen hängt von unserer Nutzungsdauer ab. Also gilt es, diese um jeden Preis zu erhöhen. Youtube stand im letzten Herbst für seinen Algorithmus in der Kritik, denn jedes Video, das man im Anschluss an das selbst gewählte angezeigt bekommt, ist zugespitzter als sein Vorgänger, bis hin zum Extremismus. Und auch die Algorithmen, mit denen Facebook die Beiträge in der Timeline anzeigt, sind alles andere als neutral.

In den „sozialen“ Medien gilt „Empörung sells“. Wut, Ärger, Angst, Verschwörungstheorien werden implizit gefördert, weil es den Umsatz erhöht. Wenn man das mit einem Stammtisch vergleichen würde, wäre das eher, als würde der Wirt immer demjenigen das nächste Freibier hinstellen, der am schnellsten und lautesten etwas so Außergewöhnliches schreit, so dass sich die meisten Gäste umschauen.

Geschwindigkeit als neue Religion Das Herunterwischen zum Aktualisieren der Neuigkeiten in der Facebook-App hat den gleichen Effekt auf das Gehirn wie das Spiel am Glücksspielautomat. Durch eine permanente Befeuerung aus den sozialen Medien werden wir stimulationssüchtig. Relevanz wird an Geschwindigkeit gemessen. Das gilt für Nachrichtenseiten genau wie für Politiker. Da bleibt eigentlich kein Raum zum Zuhören, Nachdenken, Bewerten. Zu meiner Zeit war man auf dem Schulhof out, wenn man einen Film am abend zuvor nicht gesehen hatte. Heute ist man out, wenn man den neuesten Klatsch&Tratsch nicht Sekunden später als Erste gesehen hat.

Digitale Kommunikation ist nicht das gleiche wie von Angesicht zu Angesicht Wir wussten mal alle, wie bedeutsam Mimik und Gestik in der Kommunikation sind. Und dass man Konflikte am Besten im persönlichen Gespräch und nicht per E-Mail oder SMS löst. Die Kombination aus Empörung, Geschwindigkeit und fehlender persönliche Deeskalation macht etwas mit uns. Da gebe ich Robert völlig Recht. Ich habe immer mehr das Gefühl, wir lauern gerade zu auf das nächste Fettnäpfchen. Ich bin Agnostikerin und trotzdem ein großer Freund der Geschichte, nicht den ersten Stein zu werfen. Und auch keinen zweiten.

Ich bin ca. 2013 aus Facebook ausgestiegen und es hat meine Lebensqualität sehr verbessert. Beste Entscheidung ever. Ich habe nie das Gefühl etwas verpasst zu haben, wenn ich Dinge später als andere erfahre. Aber ich würde nie Berufspolitiker zu diesem Schritt drängen, es bringt auch Nachteile mit sich. Insofern finde ich es gut, dass Robert diesen Schritt geht, weil es m.E. ein Experiment sein kann, dass nur wenige andere so gehen könnten und ich bin sehr gespannt, welche Auswirkungen und Erkenntnisse uns das bringen wird.