Die Meinung am Freitag, 20.04.2018, von Carsten Werner

19.04.18 –

Was für ein Kontrast: Auf der Bühne - die man diesmal so nennen kann - halten zwei Grüne, ein Mann und eine Frau, zwei Chefs, eine Rede: gemeinsam. Unvorstellbar noch vor einem Jahr, was Annalena Baerbock und Robert Habeck da am vergangenen Wochenende im Duett vorgestellt, vorgetanzt haben: Diskursive, inspirierende und offen interessierte Alternativen zum alten Kraftsport Politik. Man muss das nicht mögen. Man kann was gegen zu viel Inszenierung haben - oder gegen genau diese. Es gibt ja gute und schlechte Inszenierungen - und Inhalte.

Die (ganz wenigen) Bremer bei diesem #Startkonvent für #neuefragenneueantworten durften parallel eine andere Inszenierung erleben: Ein Senator geht der Partei verloren, die Presse ventiliert die Inthronisation der neuen alten Spitzenkandidatin - und die Partei erklärt sich nicht. Jedenfalls tut sie so, während die Basis über Hausaufgaben-Fragebögen schwitzt, stöhnt oder streitet: Auf Nachfrage heißt es, man habe das „so vereinbart“. Schweigen bis Montag. Warum auch immer. Vielleicht eine spannende Dramaturgie, ein überraschendes Konzept.

Die Regie muss ihre Inszenierung nicht erklären - das ändert sie ja nicht. Und wenn sie gut ist, wird sie auch nicht hinterfragt. Blöd nur, wenn andere vor der Premiere die Regie übernehmen - oder einfach nur die besten Gags ausplaudern. Zur Premiere und danach zählen guter Wille, schlaue Dramaturgie und pfiffige Inhalte dann nur noch, wenn sie rüberkommen - und alles wird erst zusammen mit der Wahrnehmung des Publikums zum Kunstwerk. In Berlin also: Eine quirlige, vielleicht etwas überdrehte, aber eindrucksvoll choreografierte, riskant ehrliche Auskunft, ein Aufbruch ins Nächste. Weil man den Eindruck hat, dahin müsse man sich jetzt auf den politischen Weg machen. Meanwhile in Bremen: ein Rollback auf 2007. Per Presseverlautbarung des LaVo: ein Vorschlag zur Güte. Weil man den Eindruck hat, damit müssten im eigenen Laden, wenigstens da, doch jetzt bitte irgendwie alle hoffentlich weitgehend zufrieden gestellt sein, eigentlich. Oder so.

Ich meine: Wir sollten das noch einmal hinterfragen - ob das 1. wirklich so ist und ob das 2. für eine bevorstehende Wahl reicht? Als Angebot an die Stadt, an mögliche Partner, an die Wähler, an unsere Sympathisanten und unsere Nachfahren.

Der Vorschlag des LaVo ist - in Kombination mit dem angestrebten Zeitplan und so, wie er kommuniziert und begründet wird - eine Besetzung von drei Listenplätzen (vor deren Wahl), von drei Regierungsämtern (vor der Bürgerschaftswahl 2019 und möglichen Koalitionsverhandlungen) sowie der Spitzenkandidatur 2023 (fünf Jahre im Voraus). Der Vorschlag ist kein Listenvorschlag. Sein einziger Inhalt heißt: Weiter so, weil wir haben das verdient. Er zeigt keine Entwicklung, wenig Bandbreite, kaum Vielfalt und gutes Teambuilding-Konzept. Bestenfalls addiert er Widersprüche: Ihm liegt kein politischer Entwurf zugrunde, sondern eine vermeintlich vorläufig befriedete interne Konkurrenz.

Sind für ein Spitzentrio zur Wahl 2019 wirklich dann zusammen 60 Jahre Parlamentserfahrung notwendig? Und sind 2023 dann 72 gemeinsame Parlamentsjahre nicht noch toller?

Erneuerung ist ein großes Wort. Vielleicht unnötig groß: es wäre aber schön und wird von zeitgemäßer Politik erwartet, einfach mit der Zeit zu gehen. Natürlich gehören dazu Erfahrungen - aber dürfen die nur aus lebenslanger Berufspolitik kommen? In diesem Licht betrachtet, bedeutet der Verzicht auf Joachim Lohse personalpolitisch: „Zurück auf 2011“ oder 2007 - unser einziger prominenter Quereinsteiger in die Politik (und in bremische Gegebenheiten) geht. Kein Platz, kein Nerv, kein Interesse (mehr) für so viel Neues?

Das Positive: Der Landesvorstand und die drei Spitzenfrauen haben anerkannt und aufgeschrieben, dass ein "Generationswechsel" angezeigt sei und bevorsteht. Das erstaunliche: Sie haben ihn schriftlich auf 2023 terminiert - und auch schon personell besetzt. 2018, fünf Jahre im Voraus. Abgesehen davon, dass das in einer Zeit, in der politische Gewissheiten im Monatstakt wanken und fallen, eine kühne Setzung ist: Ist das das, was Grüne als Basisbeteiligung hochhalten? Das, was die grünen Ahnen früher mal mit Rotation, wir alle neulich noch (und in der Bundespartei gerade jetzt explizit wieder) mit einer Quereinsteigerkultur meinten? Ist das die Zeitgenossenschaft, die wir Freunden und Freundinnen, Nachbarn und Kolleginnen, Sympathisantinnen und Skeptikern, Neugierigen und Zweifelnden, Unterstützerinnen und Gegnern, Partnern und Wählerinnen als unsere politische Kultur und Zukunftsmusik anbieten wollen? Ich meine: Nein.

Wir haben in der Breite auch kein Generationenproblem; nicht eine "Generation" muss wechseln, sondern das personelle Angebot sich entwickeln - warum erst 2023, wenn unsere Kinder (die übernächste Generation!) wählen dürfen? Eine Spitzenkandidatin, die (nach vielen Jahren Spitzenämtern) in Aussicht stellt, jetzt (!) vier Jahre lang „gemeinsam den Generationenwechsel vorzubereiten“, möchte ich fragen: Warum Du? Warum erst jetzt? Wer hat das in den vergangenen Jahren gemacht? Ich habe Susan Mittrenga, Henrike Müller, Matthias Güldner und Maike Schaefer in der Arbeit an dieser Aufgabe erlebt - seit Jahren: Sie haben sich gekümmert, motiviert, gefördert. Und die Leute der Generationen, die sie geprägt haben, haben Namen und Gesichter, Kompetenzen - und Erfahrung.

Ich habe die Personalpolitik der Grünen immer als Einladung verstanden: Erfahrungen (!), Kompetenzen und Ideen einzubringen, weil sie gewertschätzt und gebraucht werden. Diese vorzügliche Behandlung habe ich als Quereinsteiger, Kandidat und Abgeordneter genossen und schätzen gelernt, denn sie macht kreativ und tolerant. Diese vorzügliche Erfahrung möchte ich auch als Bürger*in und Basismitglied erleben, die steht auch jeder und jedem anderen Interessierten und Engagierten zu. Wenn wir von Behörden erwarten, dass sie uns alle als Kund*innen behandeln - dann sollten wir als Partei hinter diese Erwartung nicht zurückgehen. Wir haben den grünen Stadtkongress „Infrastrukturen des Glücks“ als so eine Einladung inszeniert und erlebt. Die Grüne Jugend lebt und führt das gesellschaftlich und medial gerade mitreißend und erfolgreich vor. Weil der Anspruch sich im Tun erweist: #stadtneudenken geht nicht „weiter so“ #stattneudenken ;-)

Ein weibliches Spitzentrio ist eine tolle Idee - aber könnten dazu nicht auch Kai Wargalla, Alexandra Werwath, Henrike Müller, Linda Neddermann oder Anne Schierenbeck gehören? Oder Ronny Meyer, Philipp Bruck, Matthias Güldner oder Florian Kommer. Oder andere. Es ist nicht so, dass die Grünen Bremen insgesamt ein Nachwuchs-, Generationen- oder Kompetenzproblem haben.

Ich kann mich täuschen - und ich weiß, dass hinter einer schlechten, grandios verunglückten Inszenierung auch ein sauguter Text, ein tief philosophisches Konzept verborgen sein kann. Wenn dem so ist, würde ich das gerne wissen, erleben können.

Karolines Unnachgiebigkeit und ihre Erfolge sind große, wertvolle Pfund in der Landesregierung. Vielleicht auch für einen Wahlkampf. Aber ist das das Wichtigste, was die Grünen für Bremen als Zukunftsangebot machen - sind die historischen Erfolge die wichtigsten, drängendsten Themen für einen Wahlkampf?

Maike traue ich zu, den Bremerinnen und Bremern eine Offenheit für ihre Ansprüche und Ideen, ihre Kritik und Fragen zu signalisieren - und ein grünes Teambuilding zu diesem Zweck. Sie steht für eine politische Kultur der Zusammenarbeit, des Ohrs bei den Bürger*innen, ihren Initiativen und Interessen. Dass Maike dafür bis jetzt nicht machtvoll, fordernd und wütend auftritt, ist ihr hoch anzurechnen - und ein großer Wert, kein Manko. Weil es anderen Luft lässt.

Anja hat unter den deutschen Großstädten eine der besten Integrationsleistungen von 2014 bis heute organisiert - mich interessiert, ob und was wir daraus für die Integration, Verbindung und Vernetzung auch ganz anderer Parallelwelten in Bremen und Bremerhaven strategisch und konzeptionell lernen können.

Tun wir nicht so, als könnten wir beliebige Inhalte und Formulierungen, Ansätze und Formate, brav über Fragebogensammlungen irgendwie an Spitzenkandidatinnen vorbei und unabhängig von ihnen generieren. Eine Wahl handelt naturgemäß von der Zukunft. #Lorbeerernte, Dank, Anerkennung und Erbe müssen wir anders organisieren.

Ich wünsche mir, dass die Spitzenkandidatinnen sich mit politischen Initiativen der Parteibasis und der interessierten Öffentlichkeit vorstellen - und dass dieses Publikum, wir, auf dieser Grundlage ein Votum für die künftige Spitzenkandidatin und ihr Team abgeben können; jetzt, vor den Sommerferien, nicht erst in 8 Monaten, wenn das Stück von der Alternativlosigkeit sich eingespielt haben würde #stattneudenken - wenn es nichts mehr zu entscheiden gibt. Dass es Alternativen gab und gibt, ist kein Problem, das „einstimmig“ wegmoderiert werden muss - sondern eine riesige Chance. Haben wir die nicht nötig? Nutzen wir die?