Die Meinung am Freitag, 22.06.2018, von Helga Trüpel

Ich meine, dass die aktuelle Reform des europäischen Urheberrechts eine gute Sache ist – und hoffe, dass die Debatte darum ausgewogener wird.

21.06.18 –

Ich meine, dass die aktuelle Reform des europäischen Urheberrechts eine gute Sache ist – und hoffe, dass die Debatte darum ausgewogener wird.

Diese Woche hat der Rechtsausschuss des Europäischen Parlaments über die Urheberrechtsrichtlinie abgestimmt. Einige Artikel werden kontrovers und zuweilen sehr emotional diskutiert. Das gilt vor allem für Artikel 11 zum Leistungsschutzrecht für Verlage sowie Artikel 13 zur Nutzung urheberrechtlich geschützter Inhalte auf digitalen Plattformen. Mir ist klar, dass diese Themen nicht nur zwischen den politischen Lagern heftig umstritten sind, sondern auch innerhalb der Grünen - in Europa, im Bund und auch in Bremen. Die Standpunkte liegen weit auseinander und stehen sich mitunter unversöhnlich gegenüber. Polemische Kampfbegriffe wie „Link-Steuer“ oder „Zensurmaschine“ sind fester Teil der Debatte geworden. In den sozialen Netzwerken bin ich wegen meiner Position heftiger Kritik und zum Teil auch persönlichen Anfeindungen ausgesetzt.

Ich hatte einmal eine andere Position zur Frage des Leistungsschutzrechts. Daher möchte ich noch einmal darlegen, warum ich meine Meinung diesbezüglich geändert habe und nun dem Kompromiss im Rechtsausschuss positiv gegenüberstehe.

Artikel 11 zum Leistungsschutzrecht für Verlage wurde ursprünglich deshalb von der Kommission in die Richtlinie mit aufgenommen, da der Qualitätsjournalismus seit einigen Jahren in einer finanziellen Krise steckt, da sich im Internet eine „kostenlos“-Mentalität durchgesetzt hat und die meisten NutzerInnen nur noch auf kostenlos zur Verfügung gestellte Inhalte zugreifen. Das Ziel ist an dieser Stelle nach wie vor, dass Suchmaschinen und andere News-Aggregatoren Lizenzgebühren an die Verlage zahlen. Es geht darum, die Verlage in ihrer Verhandlungsposition gegenüber digitalen Anbietern zu stärken.

Natürlich haben auch die Zeitungsverleger Fehler gemacht – insbesondere den, Artikel, die identisch als Printbeitrag erschienen sind, kostenfrei ins Netz zu stellen. Nach dem sich diese Praxis etabliert hatte, musste man jahrelang mit großem Aufwand für paid content und digitale Abos geworben werden. Die Printumsätze der Zeitungsverlage gingen und gehen kontinuierlich zurück und die Werbeeinnahmen im Onlinebereich können das nur bedingt abfedern. Diese Entwicklung haben Zeitungsmacher in ihrem Ausmaß falsch eingeschätzt.

Onlinesuchmaschinen wie Google zeigen die Links der Zeitungsartikel und ein bis zwei Sätze dieser an. Der Vorschlag der Kommission und auch der Kompromissvorschlag im Rechtsausschuss sehen nun also vor, dass die Suchmaschinen die genutzten Inhalte lizenzieren sollen. Ich stehe dem Vorschlag des Ausschusses deshalb positiv gegenüber, da dieser vorsieht, dass auch die AutorInnen der gezeigten Artikel an den etwaigen Gewinnen der Verlage beteiligt werden. Auch wurde sichergestellt, dass das private und nicht-kommerzielle Verlinken weiterhin möglich ist. Daher ist die „Rettung des Links“, um die aktuell so viel Wirbel gemacht wird, in meinen Augen sichergestellt. Immer weiter von einer „link tax“ zu reden, ist grob irreführend.

Es ist in dieser Auseinandersetzung zudem wichtig, genau hinzuschauen, wie sich das Nutzerverhalten konkret gestaltet. Eine Eurobarometer Studie der EU-Kommission aus dem Jahre 2016 zeigt auf, dass europaweit 47 Prozent der NutzerInnen die Überschriften der Suchmaschinen und Social Media Plattformen durchscrollen, aber nicht auf einen der Artikel klicken, um sich zu informieren. Die Zahlen für Deutschland und Österreich sind sogar noch besorgniserregender: hier gaben 53 Prozent der Befragten an, nur auf den Seiten der Suchmaschinen zu verweilen (Spitzenreiter ist übrigens Litauen mit 67 Prozent). Daher bleibt der Traffic in diesen Fällen allein bei Google & Co, was sich negativ auf die Werbeeinnahmen der Verlage ausübt.

Auch wenn mir immer wieder anderes unterstellt wird: Für mich ist sehr wichtig, dass der individuelle Nutzer nicht in seinem Verhalten eingeschränkt wird und das ist in meinen Augen durch den Kompromiss im Rechtsausschuss gesichert. Natürlich wird der Qualitätsjournalismus nicht durch diesen einen Artikel gerettet und das behaupte ich auch gar nicht – für mich ist er ein Schritt neben vielen anderen, die unternommen werden müssen.

Es ärgert mich aber, dass auch in offiziellen Stellungnahmen der Grünen nicht auf das Kernproblem in der politischen Ökonomie der digitalen Welt eingegangen wird: die Wertschöpfungslücke (oder englisch „value gap“). Mit etwas angestaubten Vokabular formuliert: Die in der Distributionssphäre massig anfallenden Gewinne kommen in der Sphäre der Kulturproduktion einfach nicht in ausreichendem Maße an. Dieses Problem betrifft nicht nur Verlage, wenn digitale Anbieter deren Inhalte verwenden, aber die dadurch generierten Werbeeinnahmen für sich behalten. Es betrifft in anderer Form auch Musiker und Filmemacher, wenn auf YouTube & Co deren kulturelle Güter zugänglich gemacht werden, die urheberrechtlich geschützt sind, aber Verletzungen dieses Rechts einfach hingenommen werden und keine nennenswerte Vergütung stattfindet.

Damit wären wir bei Artikel 13 und der in meinen Augen überzogenen Angst vor Upload-Filtern: Durch Artikel 13 sollen Plattformen angehalten werden, von sich aus konsequent Urheberrechtsverletzungen nachzugehen und nicht erst dann, wenn der individuelle Kulturschaffende eine Urheberrechtsverletzung meldet. Ich möchte, dass die großen digitalen Monopole mit den Verwertungsgesellschaften – deren Rolle in der Diskussion immer wieder übersehen wird! – Verträge schließen, die die Kulturschaffenden angemessen an Gewinnen beteiligen, die durch die Verbreitung ihrer Werke entstehen. Geschieht das europaweit, dann braucht es auch keine Upload-Filter. Eine monströse „Zensurmaschine“ ist in meinen Augen daher nicht zu befürchten.

Ganz unabhängig von den Details einzelner Artikel wird in der gesamten Diskussion zu wenig die politische Dimension des Problems betrachtet. Anstatt alles auf technische Problemstellungen – deren Wichtigkeit ich nicht leugne – zu verengen, muss man sich folgende Fragen klar vor Augen halten: Welche Rolle spielt der Gesetzgeber in Zeiten des digitalen Kapitalismus? Kann man erwarten, dass „der Markt“ mit seinen Innovationen tatsächlich die Stellung der bestehenden Monopole schwächen wird? Oder braucht es nicht längst Regulierungen von öffentlicher Seite, damit fairer Wettbewerb zuallererst wieder möglich wird?

Ich weiß, dass ich mit meiner Haltung zu diesen Fragen außerhalb des piratenaffinen Mainstreams der Grünen stehe. Und wie immer gibt es für jede Seite pro & contra. Nichtsdestotrotz haben mich unzählige Gespräche mit Verlegern, Journalisten und Künstlern davon überzeugt, für eine stärkere urheberrechtliche Regulierung auf europäischer Ebene einzutreten. Wenn die Big Player der digitalen Wirtschaft auf irgendeine Weise klaren Regeln unterworfen sollen werden, dann kann dies nur mit einem EU-weitem Ansatz gelingen. Der Kompromiss des Rechtsausschuss stellt für einen solchen Ansatz dar.