Die Meinung am Freitag, 29.6.2012, 2. Halbzeit, von LSM Michael "Pelle" Pelster

Ich meine, wir sollten Fußball feiern und Nationalismus bekämpfen………

29.06.12 –

Ich meine, wir sollten Fußball feiern und Nationalismus bekämpfen………

Als aktiver Fußballer habe ich viele Trikots, auch welche von Nationalteams. Ich trage die Trikots von vielen Nationen, wahlweise mit einem Spielerlegendennamen auf dem Rücken. Vorzugsweise auf Turnieren unter lauter wilden, alternativen, linken Kickern. Ohne Murren oder Anmache. Und ich bin nicht der Einzige. Deutsche Trikots aber ernten böse Blicke. Obwohl ich eines besitze, Spielername Hartz, Rückennummer 4, ein Geschenk.

Viele von uns haben andächtig zugehört, als die irischen Fans nach dem Vorrundenaus minutenlang ihre Hymnen sangen, obwohl wir kein Wort verstanden. Wer während des Urlaubs in Zeiten der WM oder EM in Fahnen schwenkende Fangruppen gerät, lauscht ihren Rhythmen und Gesängen und tanzt mit. Auf unseren Fußball- und Spielplätzen tummeln sich die Kleinsten in Nationaltrikots ihrer Idole rum. Aber wehe, mein Kollege hat seinen Außenspiegel schwarz-rot-gold verhüllt. Wehe, meine doch immer so tolerante Nachbarin kauft ihrem Kleinen ein Jogi-Trikot. Wehe, meine Freunde jubeln über ein Tor und den Sieg unserer Nationalmannschaft. Wehe, die deutsche Fahne hängt beim türkischen Feinkostladen am Fenster.

„Patriotismus und Nationalismus steigern Fremdenfeindlichkeit und Rassismus“ hört man nicht nur aus linken, sondern auch aus grünen Kreisen. Ja, auch mich kotzt das stakkatohafte deutsche „Sieg“-Gebrüll an, gerade jetzt, in den osteuropäischen Ländern. Auch ich rege mich über Fernsehkommentare vom „ersten Heimspiel in Danzig“ auf. Und ich schäme mich für das offene Auftreten faschistischer Fans inmitten der vielen Fußballevents. Und für die Anmache von gröhlenden, stark alkoholisierten Jungmännern gegenüber Frauen. Und ja, auch ich kenne die diversen Studien und Artikel zum Zusammenhang zwischen Fußballbegeisterung und Patriotismus, Nationalismus und Fremdenfeindlichkeit und zur Kritik am „Party-Patriotismus“. Auch mich nervt es, dass jede noch so kleine Deko schwarz-rot-gold verziert ist, und dass selbst Lebensmittel jetzt „national“ deklariert werden.

Rassismus und Faschismus beginnt in den Köpfen der Menschen. Wer meint, das Weglassen von Symbolen wie Wimpeln, Fahnen und Trikots könnte ein Stück Welt retten, der steht im Abseits. Bemalte Gesichter, hupende Autos, flatternde Girlanden, laut schreiende Fans, Public Viewing, Fanmeilen – seien wir doch mal ein bisschen locker, ein bisschen tolerant, etwas unverkrampft. Stellen wir nicht alle gleich unter Generalverdacht, sondern schauen genauer hin. Es geht nicht immer darum, deutschen Nationalstolz zu zeigen. Deutschsein definiert sich oft über die Abstammung, nicht über den Geburtsort. Das gibt Raum für Interpretationen, aber auch zu gefährlichen Tendenzen innerhalb unserer Gesellschaft. Aber es gibt so etwas wie Heimatgefühl, zu Bremen, zu Norddeutschland, auch zu Deutschland. Und deswegen drücke ich Werder und auch der deutschen Elf die Daumen. Und auch als Ausdruck und Verbundenheit zu einem toll aufspielenden
Team um die Özils, Boatengs und Khediras, aber auch Kloses und Schweinsteigers.

Stehen wir stattdessen im Alltag auf gegen alltäglichen Rassismus, gegen Fremdenfeindlichkeit, ob auf dem Wochenmarkt, in der Straßenbahn, am Arbeitsplatz oder auf dem Schulhof. Und lasst uns auch zwischen den Fußballevents darüber diskutieren, was unsere zur Schau gestellte Freude ausmacht. Wie wir unsere „Nation“ begreifen. Ob wir uns gegen Missstände in den jeweiligen Austragungsländern nicht auch mal ohne EM äußernkönnen und wollen. Und: stehen wir auf und wehren uns aktiv, wenn wir inmitten unserer heißgeliebten Fußballevents rassistische, nationale und fremdenfeindliche Äußerungen und Symbole vernehmen.

Falls wir Europameister geworden wären, hätte ich mir nach Spielschluss mein vietnamesische  Nationalmannschaftstrikot angezogen (heutzutage unverdächtig rot mit Revolutionsstern), mit der  südafrikanischen Vuvuzela getrötet und wäre mit meinem Hollandrad durch die Straßen gefahren und hätte laut immer wieder den Namen des entscheidenden Torschützen gerufen: „Özil“. Es hat  nicht gereicht. Und so hoffe ich, dass die Tore von Mario Balotelli auch zu einem Umdenken in der italienischen Gesellschaft führen. Dann hätte diese Niederlage doch noch was Gutes.