Die Meinung am Freitag, 10.10.2014, von Margret Nitsche

10.10.14 –

Ich meine, dass uns das Thema Prostitution in ein feministisches Dilemma stürzt, in dem wir beide Seiten ernst nehmen müssen.

Das Prostitutionsgesetz von 2002 hatte das Ziel, die Prostitution aus der Sittenwidrigkeit zu holen und die rechtliche und soziale Stellung der Prostituierten zu stärken. Dieses Ziel wurde nur  zum Teil erreicht. Deshalb,darüber besteht weitgehende Einigkeit, bedarf es einer Weiterentwicklung des Gesetzes und klarer geregelter Rahmenbedingungen.

Die Bundesregierung hat im August die Eckpunkte eines geplanten Gesetzes vorgelegt, das die in der Prostitution Tätigen besser schützen und ihr Selbstbestimmungsrecht (!)stärken soll. Auch zur Bekämpfung des Menschenhandels soll das Gesetz beitragen.

Man könnte den Ansatz, den dieser Entwurf verfolgt, zusammenfassend als „Repressionen für alle“bezeichnen. Die repressiven Vorgaben, die vermutlich in erster Linie die Profiteure des Systems, also Bordellbetreiber und Zuhälter, treffen sollen, treffen letztlich alle, auch die selbständigen SexarbeiterInnen, deren Autonomie und Sicherheit eigentlich gestärkt werden sollten. Eklatantestes Beispiel hierfür ist der Vorschlag, eine allgemeine Registrierungspflicht einzuführen. Alle Prostituierten sollen sich in den Kommunen anmelden, in denen sie gerade tätig sind, erhalten dann ein Ausweisdokument, das sie gegenüber Bordellbetreibenden, Behörden und Kunden(!) vorzeigen sollen.

Diese Meldepflicht soll es den Behörden erleichtern, gegen Menschenhandel vorzugehen. Wie das gehen soll, bleibt unklar. Das Hauptproblem ist bekanntermaßen, dass die Betroffenen Angst haben, gegen Menschenhändler auszusagen. Was soll eine Registrierung daran ändern? Menschenhändler und Ausbeuter, die ihre Opfer so unter Druck setzen, dass sie behaupten, sie würden sich freiwillig prostituieren, hätten sicherlich kein Problem damit, diese auch zu einer Registrierung zu nötigen. Diese Maßnahme dürfte also völlig wirkungslos sein im Kampf gegen Menschenhandel und ausbeuterische Verhältnisse.

In Anbetracht des immer noch bestehenden Hurenstigmas würde eine Zwangsregistrierung enormen Schaden anrichten. Bei einer Anmeldepflicht und der damit einhergehenden Unklarheit, wem diese Daten zugänglich sind und was mit ihnen passiert, könnten besonders für Frauen, die nur vorübergehend oder nebenbei als Prostituierte arbeiten, gravierende Nachteile für ihre weiteren beruflichen Chancen entstehen, auch Frauen, die um das Sorgerecht für ihre Kinder fürchten und Migrantinnen, die sich eine Existenz aufbauen möchten, können es sich kaum leisten, als Huren abgestempelt zu werden.

Auch die grüne Bundestagsfraktion hat ein Positionspapier vorgelegt, in dem es um den Schutz der Prostituierten geht. Dieses Papier setzt im Wesentlichen auf eine moderate Regulierung durch ein Prostitutionsstättengesetz und wendet sich explizit gegen eine Meldepflicht, neue Altersgrenzen und verpflichtende Gesundheitsuntersuchungen.

Dieser Ansatz ist auch in den frauenpolitischen Gremien der Grünen nicht unumstritten. Viele empfinden ihn als unzureichend oder sogar falsch. Sie befürchten, dass er nicht ausreicht, um Prostituierte vor Gewalt und Ausbeutung zu schützen und wünschen sich Maßnahmen, die die Prostitution mehr eindämmen bis hin zu ihrer Abschaffung. Einige wünschen sich daher sehr restriktive Maßnahmen bis hin zum Sexkaufverbot nach französischem Muster.

Ich teile das Unbehagen am System Prostitution, wie es zur Zeit besteht. Ich glaube auch, dass es sehr vielen, aber nicht allen Frauen (es sind ja in überwältigender Mehrheit Frauen) schlecht geht in der Sexarbeit, dass sie unter miesen Bedingungen und mangels anderer Möglichkeiten nur bedingt freiwillig hier arbeiten. Und ich glaube auch, dass Prostitution ein wesentlicher Teil einer patriarchalischen, sexistischen Geschlechterordnung ist und mit dazu beiträgt, sexistische Klischees zu bestätigen und zu verstärken. Und das stört mich. Es stört mich, dass Männer selbstverständlich glauben, ein Recht auf sexuelle Befriedigung zu haben, darauf, dass ihnen jederzeit Frauen zu Verfügung stehen, um ihre sexuellen Wünsche zu befriedigen, zumindest, solange sie dafür bezahlen.

Und ich stelle mir schon auch die Frage, ob nicht eine sehr liberale Gesetzgebung den Nebeneffekt haben könnte,sexistischen Tendenzen Vorschub zu leisten, indem sie es für Männer immer selbstverständlicher und gesellschaftlich akzeptabler macht, sich sexuelle Dienstleistungen zu kaufen. Ich möchte nicht zurück zur alten Doppelmoral, aber ich bin auch nicht gewillt, den ja extrem asymmetrisch aufgeteilten Sexmarkt (Männer fragen nach, Frauen bieten an) einfach so als unabänderbare gesellschaftliche Tatsache hinzunehmen.

Ich glaube nur nicht, dass wir diesem Problem mit einem Sexkaufverbot oder ähnlichen rigiden Maßnahmen beikommen. Der Impuls, wir verbieten das einfach alles und retten damit die Frauen aus der Prostitution, greift zu kurz. Prostitution lässt sich durch ein Verbot genauso wenig aus der Welt schaffen wie beispielsweise Drogenhandel. Ein Verbot würde die Lage derjenigen, die trotzdem als Prostituierte arbeiten, nur verschlechtern.

Das Dilemma liegt darin, dass wir aus frauenpolitischer Sicht zwei Ziele erreichen möchten, die schwer miteinander vereinbar sind: einerseits die Position derjenigen zu stärken die, aus welchen Gründen auch immer, mit Sexarbeit ihr Geld verdienen. Andererseits aber daran zu arbeiten, dass das Phänomen Prostitution so, wie es heute weitgehend existiert, mit all seinen sexistischen, ausbeuterischen und frauenfeindlichen Ausprägungen, nicht gestärkt, sondern geschwächt wird und keine Zukunft mehr hat.

Ich denke, das schaffen wir nicht, indem wir die Frauen in der Sexarbeit pauschal als hilflose Opfer sehen, die der Rettung bedürfen. Sondern eher, indem wir für ihr Empowerment sorgen, dafür, dass sie ihre Rechte einfordern, ihre Interessen vertreten können so wie andere arbeitende Menschen auch – gegenüber Kunden, Bordellbetreibern und Behörden. Hier ist ein differenzierter Ansatz nötig, der die unterschiedlichen Situationen berücksichtigt, in denen Sexarbeit stattfindet.

Ich denke aber auch, dass wir über das Unbehagen an der Prostitution unbedingt weiter reden müssen. In frauenpolitischen Zusammenhängen, aber auch mit den Männern.  Darüber, was Prostitution bedeutet für das Verhältnis der Geschlechter. Was es zu tun hat mit unserem eigenen Selbstbild als Frauen und Männer, mit unseren eigenen Vorstellungen von Sexualität, darüber, wer in dieser Gesellschaft definiert, wie Sexualität gelebt werden darf und wie nicht. Und natürlich auch darüber, was der Markt der sexuellen Dienstleistungen zu tun hat mit der Verteilung von Geld und Macht, mit schlecht bezahlter oder unbezahlter Frauenarbeit einerseits und althergebrachten Privilegien andererseits. 

Es ist wichtig, die Situation der SexarbeiterInnen durch rechtliche Rahmenbedingungen zu stärken. Aber wir dürfen dabei nicht stehen bleiben. Wir dürfen die Diskussion damit nicht beenden. Eine sich als feministisch verstehende Partei muss auch die Kritik an einem eklatant sexistischen gesellschaftlichen Phänomen wie der Prostitution weiter vorantreiben.

Margret Nitsche engagiert sich in der LAG Frauenpolitik.

Kategorie

Gleiche Rechte für alle