Die Meinung am Freitag, 10.1.2014, von Matthias Güldner

„Bremen ist erneuerbar", auf diese griffige Formel hat Hermann Kuhn unseren politischen Kampfauftrag gefasst. Zu Recht. Daran und nicht nur daran, ob wir im Sinne von „Good Governance" einigermaßen solide regiert haben, werden wir von den WählerInnen nächstes Jahr gemessen werden.

10.01.14 –

Schere in der Stadt - Schere im Kopf.

„Bremen ist erneuerbar", auf diese griffige Formel hat Hermann Kuhn unseren politischen Kampfauftrag gefasst. Zu Recht. Daran und nicht nur daran, ob wir im Sinne von „Good Governance" einigermaßen solide regiert haben, werden wir von den WählerInnen nächstes Jahr gemessen werden.

Was heißt das für das Jahrzehnte alte bremische Problem der sozialen Spaltung? Wir geben zwar wieder mehr Geld für Kinder, Jugend, Bildung und Arbeit aus als im Vorjahr, aber die Ergebnisse, die harten Fakten verschlechtern sich oder stagnieren. Die Arbeitslosenquote bleibt hartnäckig im zweistelligen Bereich, wo sie andernorts Vollbeschäftigung erreicht hat. Erwachsenen- und Kinderarmut, Abhängigkeit von Sozialtransfers, Rolle des Einkommens und des Bildungsstandes der Eltern beim Schulerfolg: alle Faktoren bewegen sich, wenn überhaupt, nach unten, trotz aller Anstrengungen, das Gegenteil zu erreichen.

Für einige besteht die Lösung darin, immer mehr Geld in immer gleiche Programme zu stecken. Sie glauben, die Masse macht´s. Für mich ist klar, wenn etwas nicht funktioniert, dann funktioniert es auch nicht, wenn ich noch eine Million mehr drauf lege. Für einen Stadtstaat mit alles erwürgenden Zinszahlungen und 20 Milliarden Altschulden, der schon über eine Milliarde Euro für Soziales, Bildung und Arbeit ausgibt, und zudem nicht die Möglichkeit hat, zentrale Steuern selbst zu erhöhen, kann die einzige Konsequenz aus dieser Entwicklung nur sein, unsere Ansätze, unsere Methoden, unsere „Erfolgs"-Kriterien zu erneuern, jedenfalls alles auf den Prüfstand zu stellen.

Das bezieht sich nicht allein, ja vielleicht noch nicht einmal in erster Linie, auf die Sozialpolitik im engeren Sinne. Dort ist sehr viel verrechtlicht, was zur Sicherheit der TransferempfängerInnen auch gut ist. Dort sind Mittel in hohem Maße durch Bundesgesetze gebunden. Was auch gut ist.

Die Lösung muss vielmehr im Zusammendenken von Sozial-, Arbeitsmarkt-, Bildungs- und Wirtschaftspolitik liegen. Ziel muss die Aktivierung hin zu einer selbständigen wirtschaftlichen Existenz der bisher ausgegrenzten Menschen liegen.

Bei 25% Armut in der Stadt gibt es definitiv Menschen, die nicht auf Dauer in Abhängigkeit von Transfers leben müssen, die das Potenzial haben, auf eigenen Füßen zu stehen. Das sind beileibe nicht alle. Vielen wird weiterhin durch kluge und möglichst bürokratiearme Sozialgesetze und kommunale Programme auch auf Dauer geholfen werden müssen. Vielen Anderen aber muss endlich der Weg aus dieser Sackgasse gezeigt werden. Nicht zuletzt die Vorbildfunktion für Kinder aus Transferempfängerfamilien, die neben Ganztagsschulen und Hilfen zum Bildungserfolg vor allem auch alltagskulturell Wege aus der Armut und nicht nur Barrieren sehen müssen.

Da  ich mich mit dem Bereich der so genannten Entwicklungshilfe sehr intensiv befasst habe, fällt mir öfter die Parallele zwischen beiden Systemen auf. Abgesehen von dringen notwendiger Not- und Katastrophenhilfe hat diese viel zu oft den Effekt gehabt, wie gut gemeint auch immer, Beiträge zur Systemstabilisierung, zur Verstetigung von Armut und Abhängigkeit zu leisten, statt Beiträge zur Emanzipation und Unabhängigkeit. In den letzten Jahrzehnten ist in diesem Bereich viel gestritten, geforscht, mit neuen Projektformen experimentiert und verändert worden. Diese Diskussion ist auch bei uns überfällig. Projektmittel in den Bereichen Arbeitsmarkt, Bildung, Wirtschaft und Soziales müssen neue Ideen zulassen, Pilotbezirke auswählen, Innovation auch bei Trägern zulassen, Begleitforschung organisieren, mehr direkte Partizipation der Betroffenen organisieren.

Eine Voraussetzung der immer weiter auseinanderklaffenden sozialen Schere in der Stadt ist die seit Jahrzehnten festbetonierte Schere im Kopf. Grüne Politik in Bremen muss immer darin bestehen, diese Schere zu entfernen und Geburtshelferin neuer Ideen und Konzepte zu sein. Genau daran mögen wir gemessen werden. Immer mehr vom Alten können andere besser.

Kategorie

Sozialpolitik