Die Meinung am Freitag, 12.8.2016, von Hermann Kuhn

Ich meine, dass wir über die Auseinandersetzung mit AfD & Co. grundsätzlich nachdenken sollten.  Denn es geht um die parlamentarische Demokratie.

11.08.16 –

Ich meine, dass wir über die Auseinandersetzung mit AfD & Co. grundsätzlich nachdenken sollten.  Denn es geht um die parlamentarische Demokratie.

1. Die AfD – und erst recht die Strömungen, aus denen sie sich nährt, wie Pegida & Co. – sind unser politischer Gegner. Wir nehmen sie ernst. Wir bekämpfen sie als Partei und wir bekämpfen damit notwendigerweise auch ad personam ihre Repräsentanten. Aber wir bekämpfen nicht pauschal ihre Wählerinnen und Wähler. Und deshalb greifen wir vor allem die zentralen politischen Positionen der AfD an, widerlegen sie und zeigen, dass wir aus der gesellschaftlichen Realität andere und bessere Schlussfolgerungen ziehen. Anders gesprochen: Wir müssen auch differenzieren.

2. Voraussetzung dafür ist, dass wir keine Angst haben, reale gesellschaftliche Probleme auch dann zu benennen, wenn die AfD oder andere sie ihrerseits zum demagogischen Ausgangspunkt ihrer Politik machen. Um ein geläufiges Beispiel zu nehmen: Ein Verschweigen, Bemänteln und Kleinreden von realen Problemen mit Menschen, die nach Deutschland gekommen sind („Köln“), nutzt nicht den Flüchtlingen und nicht uns, sondern allein der AfD.

3. Wir sollten nicht versuchen, die AfD und ihre Fähigkeit zur Mobilisierung öffentlich soziologisch oder psychologisch zu „erklären“ („Globalisierungsverlierer“, „Mob“, „Wohlstandschauvinisten“, Zu-kurz-Gekommene usw.) und damit diskreditieren zu wollen. Wir müssen mit möglichen Anhängern reden über ihre Ansichten, gegen ihre Ansichten, und nicht über sie, indem wir sie in eine Schublade stecken.

4. Die AfD vertritt einige Positionen, die wir für falsch und für grundfalsch halten – sie sind deshalb nicht in grundsätzlichem Sinne illegitim. Den Euro abschaffen zu wollen, die Grenzen zu schließen, die Atomkraft wieder hochzufahren: Diese Auffassungen sind falsch, aber sie sind legitim. Anders gesagt, es ist falsch, alle Auffassungen der AfD komplett außerhalb der demokratischen Legitimität und Zulässigkeit zu stellen und sie schon damit für widerlegt zu halten. Umgekehrt: Wir müssen uns schon die Mühe der Argumentation und Überzeugung machen, vielleicht nicht wegen Petry und Gauland, wohl aber wegen der möglichen Wähler.

5. Die AfD vertritt allerdings auch Positionen, die nicht legitim sind, weil sie sich außerhalb des Kernbereichs von Menschen- und Bürgerrechten bewegen, zum Teil auch außerhalb des durch die Meinungsfreiheit geschützten Rechtsraumes. Hier sollten wir grundsätzlich und entschieden auftreten, auch die Mittel des Rechts (Strafrechts) anwenden.

6. Unsere Auseinandersetzung mit der AfD & Co. Ist nicht eine Auseinandersetzung zwischen „Links“ und „Rechts“, sondern sie ist eine Auseinandersetzung zwischen Demokratie, Republik und Menschenrechten auf der einen und anti-pluralistischen, anti-parlamentarischen und identitären, auf den Ausschluss von Minderheiten von den Menschenrechten zielenden Ideologien und Bewegungen.

7. Die Auseinandersetzung mit der AfD entscheidet sich nicht an der „sozialen Frage“, die AfD-Anhänger rebellieren nicht zuerst gegen zu niedrige Löhne oder Renten, sondern gegen die Offenheit unserer Gesellschaften, gegen die neuen Vielfältigkeiten und die damit verbundenen Zumutungen und Sicherheits- und Machtverluste. Sie akzeptieren nicht den staatlichen Schutz der Differenz in „Gender, Race und Diversity“. Dieser Kulturkampf lässt sich nicht mit mehr Sozialstaat gewinnen. (Was natürlich nicht gegen bessere Sozialpolitik spricht, aber dafür sind die Gründe viel allgemeiner.)

8. Demokratische politische Kultur lässt sich nicht mit höheren Staatsausgaben „kaufen“. Akzeptanz der Komplexität politischer Entscheidungen, Vertrauen in Debattieren, Abwägen und Kompromissbildung, also auch Respekt vor parlamentarischer Demokratie können wir nur durch gute Anwendung dieser Mittel selbst verteidigen und zurück gewinnen.

9. Die dringend notwendige Auseinandersetzung mit den Strömungen, die das Gegenteil wollen, taugt jedenfalls nicht als Begründung für ein „breites linkes Bündnis (Breilibü)“, von Rot-Rot-Grün, gegen den Rest als „Rechts“. Es macht nicht den geringsten Sinn, die CDU, die FDP oder die CSU aus der ganz praktischen Verpflichtung zu entlassen, ihrerseits ebenfalls gegen menschenrechtsverachtende Politik aufzutreten. Deswegen gilt die Aufforderung „mehr politischer Streit“ auch nicht allgemein, sondern es macht oft auch Sinn, das Gemeinsame zu bestärken oder erst herzustellen – wenn es geht, auch mit CDU und FDP, und meinetwegen auch mal mit „Alfa“ – aber das hängt von denen ab.

10. Umgekehrt taugt es auch nicht für eine schematische Ausgrenzung im Sinn von „Demokraten gegen Rechts“, die immer schon voraussetzt, dass die „Demokraten“ automatisch demokratisch sind und handeln. Ein solcher Schematismus nährt auch den für sie lebensnotwendigen Opfermythos der AfD-Anhänger. Auch hier ist Differenzierung sinnvoll, bis in den parlamentarischen Alltag.

11. Die Wählerwanderungen zur AfD zeigen, dass die AfD Anknüpfungspunkte bei Meinungen in allen politischen Milieus findet. Das gilt für Teile der CDU- wie der SPD-Anhänger, das gilt für WählerInnen der Linken bis in deren Führungspersonal. Auch wir Grünen sollten unsere politischen Einstellungen wie das Vokabular auf Übereinstimmungen prüfen. Das gilt in jedem Fall für bestimmte Varianten der grundsätzlichen Globalisierungs- und Westen/Europa/Kapitalismus-Kritik, das gilt aber auch für fortdauernde Vorbehalte gegenüber der repräsentativen Demokratie. Grundsätzlich sollten wir nie das Vokabular der AfD benutzen, z.B. selbst nicht von „etablierten Parteien“ sprechen (auch wenn wir das vor 35 Jahren selbst mit erfunden haben).

12. Wir sollten uns schließlich auf keinen Fall an dem dummen politischen Spiel beteiligen, in politischen Debatten dem jeweils anderen die Schuld an Erfolgen der AfD zu geben. Von diesem Spiel hat nämlich nur die AfD etwas, und der Erkenntnisgewinn ist gleich Null.

Hermann Kuhn

 

Kategorie

Migration, Integration, Asyl