Die Meinung am Freitag, 14.11.2014, von Margret Nitsche

Ich meine, dass alle Frauen, die noch unentschlossen sind, jetzt ganz schnell für die Bürgerschaft kandidieren sollten.

14.11.14 –

Ich meine, dass alle Frauen, die noch unentschlossen sind, jetzt ganz schnell für die Bürgerschaft kandidieren sollten.

Als ich ein Kind war, gab es keine Frauen in der Politik. In der westdeutschen Politik. Also, fast keine. Es gab Liselotte Funcke, es gab Annemarie Renger, und irgendwann tatsächlich auch eine Bundesministerin, Katharina Focke. Ansonsten war Politik etwas, was von Männern gemacht wurde. Von grauen, alt aussehenden Männern, die ich kaum auseinander halten konnte.

Als ich ein Kind war, war die Welt in unserer Hamburger Vorortsiedlung auch sonst noch strikt geordnet: in jeder Wohnung lebten Mutter, Vater und ein bis drei Kinder. Die Väter gingen zur Arbeit, die Kinder zur Schule, und die Mütter machten den Haushalt. Die Väter lasen Zeitung und redeten über Politik, manchmal jedenfalls. Die Frauen nie.

Kein Wunder, dass ich glaubte, was damals vermutlich die meisten glaubten: Politik ist Männersache. Nie wäre ich auf die Idee gekommen, dass das, was diese grauen Männer da machten, irgendwas zu tun haben könnte mit mir, mit meinem Leben, dem Leben meiner Mutter und der anderen Frauen um uns herum.

Nun ja, das hat sich geändert. Der Zusammenhang ist mir irgendwann dann doch klar geworden.

Und noch etwas hat sich geändert: Politik wird schon lange nicht mehr von grauen Männern gemacht. Die Männer sind bunter geworden (nicht zuletzt durch den Einfluss der Grünen). Und die Frauen sind mehr geworden, viel mehr (nicht zuletzt durch den Einfluss der Frauenbewegung).

Aber: Reicht das jetzt? Können wir uns damit zufrieden geben?

Ich finde nein. Ich finde, da stimmt was nicht, wenn immer noch deutlich mehr Männer in den Parlamenten sitzen als Frauen. Wenn deutlich mehr Männer kandidieren als Frauen. Ich finde, das können wir nicht einfach so hinnehmen. Wir müssen uns fragen, warum das so ist. Und wir müssen versuchen, das zu ändern.

Zu den Gründen: Ich hege den Verdacht, dass die alte Ordnung aus meiner Kindheit noch nicht wirklich außer Kraft gesetzt ist. Dass die alten Muster noch wirksam sein könnten: Politik ist Männersache. Das werden die schon machen. Und die meisten Frauen sind ja schon genug damit beschäftigt, Arbeit, Liebe, Kinder und was da so alles dranhängt zu bewältigen. Und von daher womöglich sogar ganz froh, dass genug Männer in die Politik drängen und den Job machen wollen.

Das ist verständlich. Hat aber Konsequenzen, die die meisten von uns nicht wollen. Ich denke mal, Frauen nicht und Männer auch nicht, es sei denn, sie gehören zu denen, die die alte Ordnung wiederherstellen wollen, und das sind ja bei den Grünen hoffentlich nicht allzu viele.

Denn es ist ja nicht egal, wer Politik macht. Politik wird gemacht von Menschen, die geprägt sind von ihren jeweiligen Lebenserfahrungen. Und bei diesen Lebenserfahrungen spielt das Geschlecht nun mal nach wie vor eine große Rolle, wir leben ja keineswegs in einer Postgender-Gesellschaft. Wie wir uns selbst sehen, wie andere uns sehen, welche Rollen und Lebensentwürfe wir wählen und welche davon auch akzeptiert werden, welche Möglichkeiten uns offen stehen und welche eher nicht, welche uns nahe gelegt werden und welche uns als abwegig erscheinen, kurz, unter welchen Bedingungen wir unser Leben gestalten können, hängt davon ab, welchem Geschlecht wir uns zuordnen (und sich nicht zuzuordnen ist keine akzeptierte Option).

Lebensrealitäten beeinflussen Politik – und Politik beeinflusst Lebensrealitäten. So einfach ist das. Und ich möchte, dass die Lebensrealitäten von Frauen eine ebenbürtige Rolle spielen in der Politik. Dass die Interessen, Sichtweisen, Themenschwerpunkte, die sich aus einem Leben als Frau in dieser Gesellschaft ergeben, in die Politik einfließen. Weil sie wichtig sind, für alle. Weil sonst etwas fehlt. Weil gute Politik für alle auch alle Perspektiven braucht. Ich möchte, dass wir alle gemeinsam, Frauen und Männer, alle Geschlechter, uns einsetzen für eine Politik, die unseren grünen Werten entspricht. Und in der die alte Ordnung meiner Kindheit endgültig keine Rolle mehr spielt.

Daher mein Appell an alle noch unentschlossenen Frauen: gebt euch einen Ruck, just do it! Und an alle, Frauen und Männer: sprecht Frauen an, von denen ihr ahnt, dass sie interessiert sein könnten, vielleicht brauchen sie nur noch einen kleinen Schubs. Politik ist Frauen- und Männersache!

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Gleiche Rechte für alle