Die Meinung am Freitag, 15.04.2016, von Joachim Lohse

Ich meine, dass Städte mit hoher NO2-Belastung ein rechtssicheres Instrument benötigen, um die Zahl der problematischen Dieselfahrzeuge an den Belastungsschwerpunkten zu verringern.

14.04.16 –

Ich meine, dass Städte mit hoher NO2-Belastung ein rechtssicheres Instrument benötigen, um die Zahl der problematischen Dieselfahrzeuge an den Belastungsschwerpunkten zu verringern.

Auf ihrer Sonderkonferenz zum Thema "automobile Abgasemissionen" am 07. April in Berlin wurden die Umweltminister*innen der Länder darüber informiert, dass bei zahlreichen Pkw die Maßnahmen zur Stickoxidminderung bei Außenluft-Temperaturen von weniger als 10 Grad Celsius abgeschaltet bzw. gedrosselt werden, um den Motor zu schützen.

Besonders gravierend ist der Fall Volkswagen, wo das Fahrzeug mittels einer Betrugssoftware erkennt, wann es sich auf dem Prüfstand zur Abgasmessung befindet, um dann in einen saubereren Fahrmodus gesteuert zu werden. Aber auch andere Hersteller setzen phasenweise die Stickoxidminderung außer Funktion und berufen sich darauf, dass sie lediglich Vorkehrungen träfen, damit bei sehr kalten Temperaturen keine Schäden am Motor entstünden. Dieses sei rechtskonform mit der entsprechenden EU-Gesetzgebung. Diese erlaubt den Herstellern, dass Konstruktionsteile, die die Funktion eines Emissionskontrollsystems verringern, ausnahmsweise zulässig sind, wenn sie notwendig sind, um den Motor vor Beschädigung zu schützen.

Nun ist es allerdings so, dass Temperaturen von weniger als 10 Grad Celsius in Deutschland keine Ausnahme, sondern eher der Regelfall sind: die Jahres-Durchschnittstemperatur in 2015 betrug in Deutschland 9,9 Grad Celsius, und höhere Temperaturen als 10 Grad Celsius herrschen lediglich in den fünf Monaten von Mai bis September vor. Das bedeutet, dass selbst bei neuesten Fahrzeugen, die vorgeblich die strenge Euro-6 Abgasnorm erfüllen, die Stickoxidminderung in bis zu sieben Monaten eines Jahres u.U. nicht voll wirksam sein kann. Sollte sich dies bewahrheiten, dann hätten nicht nur Volkswagen, sondern auch andere Automobilhersteller nicht nur ihre Kunden, sondern auch die Umweltverwaltungen und die gesamte Öffentlichkeit in schwerwiegender Weise getäuscht und hinters Licht geführt.

Andererseits würde mit einem Mal erklärlich, warum die NO2-Konzentrationen der Außenluft in vielen Städten seit Jahren auf konstant hohem Niveau geblieben sind, während die Feinstaubwerte mit dem Vordringen der emissionsärmeren Neuwagen im Fahrzeugbestand kontinuierlich zurückgegangen sind. Hier bei uns in Bremen werden die zulässigen Höchstwerte für NO2 an hochbelasteten Orten noch um 10 bis maximal 20 Prozent überschritten. Andere Städte wie Stuttgart überschreiten den EU-Grenzwert an viel befahrenen Straßen sogar um mehr als das Doppelte.

Diese Städte geraten aktuell von zwei Seiten unter Druck. Zum einen haben die Bürger*innen ein einklagbares Recht auf saubere Atemluft, von dem sie zunehmend Gebrauch machen. Immer mehr Gerichtsurteile verpflichten die Stadtverwaltungen wirksame Maßnahmen zur Verringerung der NO2-Belastung zu treffen. Zum anderen hat die EU-Kommission im Juni 2015 an die Bundesregierung ein Mahnschreiben wegen anhaltender Überschreitung der Grenzwerte für Stickstoffdioxid in der Umgebungsluft verschickt. Wenn Deutschland hier keine Abhilfe schafft, dann droht ein förmliches Vertragsverletzungsverfahren, das mit hohen finanziellen Strafen belegt ist.

Deshalb benötigen die Städte und Ballungsräume, deren Luft mit Stickoxiden hoch belastet ist, dringend ein rechtssicheres Instrument, um die Zahl der problematischen Dieselfahrzeuge an den Belastungsschwerpunkten zu verringern. Dies kann z.B. Fahrbeschränkungen für Dieselfahrzeuge mit geraden oder ungeraden Kennzeichen bedeuten, oder - deutlich intelligenter - die Einführung der so genannten "Blauen Plakette", die nach der Vorstellung des Bundesumweltministeriums dann nur an Diesel-Pkw vergeben wird, die die Euro-6 Norm einhalten. Das Umweltministerium hat zugesagt die dafür erforderlichen bundesgesetzlichen Voraussetzungen zeitnah auf den Weg zu bringen.

Ob die Blaue Plakette zukünftig auch in Bremen zur Anwendung kommen wird, hängt in erster Linie davon ab, wie sich die Schadstoffwerte an den Bremer Belastungsschwerpunkten in den nächsten Jahren entwickeln und welcher Handlungsbedarf daraus folgt.

In jedem Fall aber ist es zwingend notwendig, dass neue Diesel-Pkw die niedrigen Emissionswerte der Euro-6 Norm nicht nur auf dem Prüfstand, sondern auch im realen Fahrbetrieb einhalten. Sollten die Hersteller dies nicht bewältigen, dann wird der Diesel-Antrieb für Pkw in Europa langfristig wohl kaum eine Zukunft haben.

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Bremen | Europa | Klimaschutz | Umwelt | Verkehr