Die Meinung am Freitag, 16.5.2014, von Hermann Kuhn

Ich meine, dass wir gegenwärtig zusehen, wie die russische Führung den souveränen Staat Ukraine Schritt für Schritt zerstört.

16.05.14 –

Ich meine, dass wir gegenwärtig zusehen, wie die russische Führung den souveränen Staat Ukraine Schritt für Schritt zerstört.

Die Ukraine ist seit dem Dezember 1991 ein souveräner, unabhängiger Staat, u.a. durch ein Referendum mit über 90% Zustimmung legitimiert; in Grenzen, die mehrfach in Verträgen von Russland und der Weltgemeinschaft anerkannt und garantiert worden sind. Es wohnen und leben dort Ukrainer, die verschiedene Sprachen sprechen, wie das z. B. auch in Belgien der Fall ist. Aber die russischsprachigen Ukraine sind so wenig Russen wie in Belgien die Wallonen Franzosen oder die Flamen Holländer. Unter dem – mit Russland eng verbundenen! – Präsidenten Janukowitsch hat die Ukraine ein Assoziierungsabkommen mit der EU ausgehandelt, das sich nicht gegen enge wirtschaftliche Verbindungen mit Russland richtete, aber das Land auch nach Westen öffnen wollte. Das Veto Putins gegen den Abschluss dieses Vertrages hat die Proteste auf dem Maidan gegen die korrupte und autoritäre Regierung verstärkt. Nach der Flucht Janukowitschs wurde die heutige Übergangsregierung gebildet.

Seitdem hetzt die russische Propaganda gegen die ukrainische Regierung als „faschistische Junta", gegen die jedes Mittel legitim sei; so wie die Streiks in Ostberlin (1953), die Volksbewegungen in Ungarn (1956), in der Tschechoslowakei (1968), in Polen (1981) angeblich immer vom Faschismus und Imperialismus inszeniert waren. Die Krim wurde durch militärische Gewalt von der Ukraine abgetrennt (die gleichen russischen Soldaten, von denen Putin gestern noch nichts wusste, werden heute für ihren Einsatz ausgezeichnet). Im Osten und Süden der Ukraine wird durch gut bewaffnete und ausgerüstete Kommandotrupps ein „Volkswille" inszeniert, Gewalt angewendet, provoziert, und mit der Provokation Hass der Menschen auf die Regierung in Kiew und vor allem unter einander geschürt. Das Ziel ist zunächst die Verhinderung oder zumindest Delegitimierung der Präsidentschaftswahlen am 25. Mai und insgesamt die Spaltung des – natürlich schwachen, wie denn sonst? – Landes und die Destabilisierung und Schwächung des verbleibenden Restes.

„Wir sehen dem gegenwärtig zu": Darauf kommt es mir hier an. Was auch sonst? Der Westen hat ja auch 1953, 1956 usw. „zugesehen". Klar sind Sanktionen notwendig, aber es sind natürlich Maßnahmen mit unsicherer Wirkung. Und wenn man öffentlich sagt, Sanktionen dürfen uns aber nicht weh tun, hat man schon verloren. Es ist nicht schlimm, einzugestehen, dass wir hilflos sind, weil wir die Mittel ablehnen, zu denen Putin greift. Aber schlimm ist, wenn in Deutschland Leute diese Lage schön reden und erklären, die EU sei ja irgendwie ebenso aggressiv expansiv wie Russland; man müsse den Verlustschmerz Putins verstehen; die Krim sei ja nur im Suff Chruschtschows zur Ukraine gekommen; von den Ostukrainern als von „Russen" gesprochen wird usw. usf. Als General Jaruzelski auf Druck der Sowjetunion 1981 das Kriegsrecht in Polen verhängte, hat niemand „Vergeltung" vorgeschlagen. Aber dass Bundeskanzler Helmut Schmidt am gleichen Tag in Warschau dem General sein Verständnis ausdrückte und ihm für die Wahrung des Friedens dankte, das war einfach zum Kotzen.

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Europa