Die Meinung am Freitag, 18.11.2016, von Karoline Linnert

Ich meine, das mit dem Brexit hätte man ahnen können. Europafeindlichkeit hat in England Tradition und jahrzehntelanges Abhängen der Provinz, der Abbau von Produktion und Mittelständischen Betrieben zugunsten des Londoner Finanzplatzes haben den Wunsch, es denen da oben, denen in Brüssel mal so richtig zu zeigen, stark werden lassen. Aber nun Trump. Ich kann es immer noch nicht fassen: ein Hassprediger westlicher Prägung mit Machogehabe und widerlicher Respektlosigkeit allem Schwächeren und Fremden gegenüber.

17.11.16 –

Das mit dem Brexit hätte man ahnen können. Europafeindlichkeit hat in England Tradition und jahrzehntelanges Abhängen der Provinz, der Abbau von Produktion und Mittelständischen Betrieben zugunsten des Londoner Finanzplatzes haben den Wunsch, es denen da oben, denen in Brüssel mal so richtig zu zeigen, stark werden lassen. Aber nun Trump. Ich kann es immer noch nicht fassen: ein Hassprediger westlicher Prägung mit Machogehabe und widerlicher Respektlosigkeit allem Schwächeren und Fremden gegenüber.

Aus den sozioökonomischen Analysen wissen wir, dass es vor allem weiße Männer sind, die aus tatsächlicher oder gefühlter Abstiegsbedrohung besonders empfänglich für diese Art der Radikalisierung sind. Es geht aber um viel mehr, um einen auch in Europa um sich greifenden Megatrend - Kaczynski in Polen, Marine Le Pen in Frankreich, die dänische Regierung macht die Grenze dicht, der Erfolg der AFD in Deutschland, Orban in Ungarn, Geert Wilders in den Niederlanden, Hofer in Österreich. Und der deutsche Herr Oettinger, der Chinesen als "Schlitzaugen" tituliert, wird Haushaltskommissar.

Politik ist zu abgehoben, muss mehr zuhören, mehr Bürgernähe sind die Antworten fast unisono. Auf der anderen Seite: mehr klare Kante, nicht wegdrücken, mehr Verantwortung übernehmen. Das wird die große Herausforderung, das beides zueinander zu bekommen. Was macht man denn nun bloß, wenn ein Bürger/eine Bürgerin einfach unrecht hat und mit der Einforderung von Bürgernähe die Übernahme von Blödsinn auch von anderen verlangt? Ich finde immer noch, dass man andere Menschen nicht ernst nimmt, wenn die Standardreaktion vieler Politiker noch mehr Asche aufs eigene Haupt streuen, noch mehr Selbstkritik und noch mehr "immer zuhören" ist. Es stimmt aber auch, dass wir als Teil des politischen Systems einen Hang haben, die exekutivlastige Technokratensprache zu kopieren, was zeigt, wohin wir gehören (wollen). Und es stimmt, dass mit Willen (CDU, FDP) oder gegen den Willen (SPD, Linke) die Spaltung der Gesellschaft voranschreitet. Es müssen nicht die Verlierer sein, die auf Rechtspopulisten fliegen; es sind vielmehr diejenigen, die vor Augen geführt bekommen, wie weit es auch mit ihnen kommen kann und wie wenig das schert.

Wenn es überhaupt eine gute Seite an dieser gefährlichen Entwicklung gibt, dann die, dass wir aus der Illusion herausgerissen werden, unsere Art zu denken, unsere Werte und der Glaube an den unaufhaltsamen zivilisatorischen Fortschritt sei hegemonial. So werden wir neu nachdenken und uns neu anstrengen müssen.

Mich treibt auch noch ein anderer Aspekt des erstarkenden Rechtspopulismus um, nämlich die Frage,  was das eigentlich mit uns, den Grünen, unserer Art Politik zu machen, zu tun hat. Wir sind in vielen Politikfeldern erfolgreich, kopiertes Vorbild in Inhalt und Stil. Es ist sehr unwahrscheinlich, dass eine gesellschaftliche Entwicklung, in der rechtspopulistische Gesinnungen wieder offen präsentiert werden können, mit uns nun rein gar nichts zu tun hat.

Ausgangspunkt ist der Gedanke, dass rechte Argumentations- und Gefühlsmuster keineswegs nur in rechten Milieus vorkommen, sondern weit verbreitet offen ganz rechts und ganz links, versteckt und verhalten aber überall vorkommen. Und rechte Argumentations- und Gefühlsmuster stammen aus vordemokratischen Zeiten, haben sich in moderne Zeiten gerettet (die da oben) und kultivieren einen bequemen Untertanengeist ohne eigene Verantwortung.

 

Und nun zu uns selbst:

Der Aufstieg der Grünen vor 35 Jahren war - so wie der Aufstieg der AFD heute - von dem klaren Profil begleitet, dass wir gegen die Altparteien, das politische Establishment entwickelt haben. Eigentlich wollten wir auch gar keine Partei sein, weil die ja irgendwie schlecht sind und Berufspolitiker wollten wir auch nicht (sein), weil die ja auch schlecht sind und nicht machen, was "das Volk" will. Dass wir mit Letzterem nur die Macht der Apparate stärken, mussten wir qualvoll und bis heute widerwillig einsehen. Aber distanziert zu "denen da oben" bleiben wir natürlich, auch unsere eigenen Leute machen ja nicht das, was das Volk will.

Einfache Antworten statt "faule" Kompromisse sind uns auch viel lieber. Wer nach jedem Wahlergebnis ausruft, nun aber wieder mehr Profil zu zeigen, klarere Botschaften auszusenden und die angeblich entmachtete Partei zu stärken hat vielleicht in der Sache recht - so wird es ja heutzutage offenkundig gewünscht - bedient aber gleichzeitig das Muster der Abwertung des Handwerks Politik und der Leute, die es - immerhin ja gewählt - ausüben.

Wer zu denen "da oben" gehört ist nicht mehr bürgernah, besonders dann nicht, wenn die was machen, was mir nicht gefällt. Volksentscheide und das neue Bremer Wahlrecht als Bestandteile einer modernen Demokratie sind für mich nicht strittig. Problematisch ist der damit einhergehende Gestus, der Elemente der direkten Demokratie als die eigentlich besseren, den wahren Volkswillen hervorbringenden Demokratieformen hervorhebt. Beabsichtigt oder unbeabsichtigt geht damit eine Demontage der repräsentativen Demokratie einher.

Zum Dauerritual der Bewerbungsreden für Wahllisten bei uns gehört nicht zuallererst eine klare Aussage zu einem Thema, sondern das Versprechen an die Basis immer auf diese zu hören, auf keinen Fall Alleingänge zu unternehmen und zum Gralshüter der Beschlüsse und des Programms zu werden. Dabei weiß doch jeder, dass das Schwindel ist und niemals hinhauen wird. Mal sehen, wann sich mal jemand traut die Wahrheit zu sagen: "Gebt mir ein Mandat, damit ich Euch vertrete, Euch mit all den Widersprüchen unter uns und in der politischen Arena. Dort werde ich gute Kompromisse in Eurem Sinne suchen, Entscheidungen fällen und Verantwortung für die Umsetzung von Programmwort und Transformation in politisches Handeln übernehmen. Außerdem übertragt Ihr mir eine Führungsaufgabe und die will ich auch ausfüllen". So wie das rechte Gegenteil, nämlich das Setzen auf den großen autoritären Mann, das das politische Werk als Zusammenspiel von Inhalt und Person einseitig auflöst, so zeigt auch der Weg, der Mandatierte auf Erfüller eines angeblichen Basiswillens reduziert eine Abkehr vom Politischen.

Ist es auch Teil der Rechtsentwicklung, dass es immer weniger um die Sache geht und immer mehr um die Form? Trump-Wähler sagen, es habe ihnen niemand zugehört. Dass im Weißen Haus die Interessen von Latinos, Schwarzen, Schwulen und Lesben und wem auch immer beachtet worden sind, ihre nicht. Vielleicht ist es auch nur unser narzisstisches Zeitalter, die über alle Inhalte stellt: "Es ging nicht um mich". Wenn immer mehr Debatten darum gehen, wer wann wen informiert hat, wie Beteiligung organisiert wurde, in welcher Reihenfolge, per Mail, Twitter oder Facebook und man ganz zappelig wird, weil immer noch nicht besprochen wurde, ob man etwas in der Sache richtig oder falsch findet, hat sich etwas verschoben. Mann oder Frau, mit oder ohne Migrationshintergrund, Basis oder Establishment, Fundi oder Realo, alt oder jung, Fleischfresser oder Veganer und noch ganz viel mehr werden zu wichtigen Kriterien im Meinungsstreit. Nur wenn es um die eigenen Belange geht muß man leider das postfaktische Zeitalter beklagen.

Da kommt das ganze Dilemma zum Vorschein: Wie soll man das denn auch alles beurteilen können? Und wenn man nicht ständig vor Selbstbewusstsein platzt, Kritik an der Form geht immer. Dass so Fakten, die sich auf Sachverhalte beziehen, immer weiter in den Hintergrund geraten, ist nicht an und für sich rechts, arbeitet aber in die Hände der Populisten.

Es tut mir leid, aber das grüne Profil gegen den Populismus, den andere sowieso besser können als wir, könnte ja auch sein:

  • wir bekennen uns dazu, Politik zu machen, mit Leidenschaft und Sachverstand. Wir strengen uns an und arbeiten gerne und erfolgreich für Bremen
  • wir stehen zu guten Kompromissen
  • wir übernehmen Verantwortung gerade für die, die nicht am lautesten schreien und die größte Lobby haben
  • wir stärken die Sachauseinandersetzung, indem Fakten in den Mittelpunkt rücken
  • wir übernehmen Verantwortung und sind bereit auch für unbequeme Überzeugungen einzustehen
  • wir geben und erwarten Orientierung und Führung
  • wir belügen die Menschen nicht, indem wir komplexe Sachverhalte simplifizieren

Ich glaube fest daran, dass Grüne so in Form und Inhalt eine glaubwürdige Alternative zum Rechtspopulismus sein und Wahlen gewinnen können.

Eure Karoline

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Frieden/Internationales | Wahlkampf