Die Meinung am Freitag, 30.10.2015, von Joachim Musch

Ich meine, dass die Diskussion über unbegleitete jugendliche Flüchtlinge in Bremen unerträgliche Züge annimmt. Zuerst werden die Jugendlichen zu einer Gefahr für die öffentliche Sicherheit erklärt, um dann Lösungen an zu bieten: die Unterbringung in einer geschlossenen Einrichtung mit pädagogischer und therapeutischer Begleitung. Damit soll im Jugendhilfesystem eine Lücke geschlossen werden. Handelt es sich dabei um einen politischen Reflex oder besteht diese Lücke im Jugendhilfesystem tatsächlich.

29.10.15 –

Ich meine, dass die Diskussion über unbegleitete jugendliche Flüchtlinge in Bremen unerträgliche Züge annimmt. Zuerst werden die Jugendlichen zu einer Gefahr für die öffentliche Sicherheit erklärt, um dann Lösungen an zu bieten: die Unterbringung in einer geschlossenen Einrichtung mit pädagogischer und therapeutischer Begleitung. Damit soll im Jugendhilfesystem eine Lücke geschlossen werden. Handelt es sich dabei um einen politischen Reflex oder besteht diese Lücke im Jugendhilfesystem tatsächlich.

Die Jugendlichen sind auffällig geworden, nehmen Drogen und begehen Straftaten, insbesondere Beschaffungskriminalität. Die Jugendlichen werden ermittelt, erhalten Strafanzeigen, die Einrichtungen, in denen sie leben wissen über ihre Straftaten Bescheid, sie haben einen Amtsvormund und erhalten Betreuung in der Wohneinrichtung. Sie können sich frei bewegen, halten sich nicht an Regeln und Verabredungen. Können die Jugendhilfeeinrichtungen nichts machen? Gibt es Lücken im System? Werden die Jugendhilfe und die Polizei und Justiz mit den Problemen allein gelassen? Ist es zynisch Haftstrafen - auch U-Haft - zu verhängen, wenn die Straftaten und das Verhalten der Jugendlichen es erforderlich machen?

Im Rahmen des Jugendhilferechts ist eine kurzfristige Inobhutnahme mit freiheitenziehender Wirkung möglich. Der Sinn ist Gefahrenabwehr für Dritte oder auch für den Jugendlichen. Ziel kann es dabei nicht sein pädagogisch während des Freiheitsentzuges mit dem Jugendlichen zu arbeiten oder auf ihn einzuwirken. Für Straftaten ist die Ermittlung durch die Polizei und Staatanwaltschaft vorgeschrieben und es gibt gerade im Jugendstrafrecht ein Sanktionssystem, das dem Jugendrichter alle Optionen für Maßnahmen eröffnet. Bei Drogenabhängigen kann oder muß dieses der Maßregelvollzug sein, bei schweren Straftaten oder einer Vielzahl von Taten der Arrest oder die Jugendstrafe. Es ist nicht zynisch auf dieses Sanktionssystem zu verweisen - gilt dieses Rechtssystem doch für alle Jugendlichen Straftäter und nicht nur für minderjährige unbegleitete Flüchtlinge. Umgekehrt ist die Argumentation richtig - die Sonderbehandlung mit einer Einrichtung für freiheitentziehende Maßnahmen nur auf Grund der Flüchtlingseigenschaft kann eine diskriminierende Wirkung entfalten. Das Jugendstrafrecht verweist auf das Jugendhilferecht. Für jugendliche Straftäter - egal ob deutsch, mit oder ohne Migrationshintergrund oder neu angekommener Flüchtling gilt der Vorrang von pädagogischen Maßnahmen vor Freiheitsentzug. Aber es gilt auch, scheitern diese pädagogischen Hilfen, weil die Jugendlichen sich nicht an Regeln halten, keine Verabredungen einhalten oder neue strafrechtliche Ermittlungen stattfinden, kann Arrest angeordnet werden.

Es gibt das Regelwerk, es gibt die Jugendhilfeträger, es gibt die unterschiedlichen Einrichtungen! Alles ist sicherlich verbesserungsfähig - aber eine besondere Einrichtung mit der Möglichkeit der Abschließbarkeit für Flüchtlinge bedarf es nicht, dient auch nicht zur Beruhigung der Öffenlichkeit und ist ein Reflex der Politik für das Motto "Wir müssen was tun, damit das Gefühl der Sicherheit in der Bevölkerung wieder entstehen kann" Dieser Reflex wird auf Kosten einer Entrechtlichung von Personen vorgenommen, die damit "vogelfrei" werden. Hierdurch werden Rechtfertigungen für rechte Hassanschläge erzeugt, obwohl die Politik die öffentliche Sicherheit im Auge hat. Die Geschichte des NSU ist ein beredtes Zeugnis dafür, wohin eine Politik der Entrechtlichung von Personen führt. Damals war es der Asylkompromiß, heute sind es wieder Unterscheidungen von guten und schlechten Flüchtlingen. Dabei wissen alle, unsere Gesellschaft kannte Straftaten und -täter, auch vor der Benennung von Personen als "unbegleitete minderjährige Flüchtlinge"

Kategorie

Migration, Integration, Asyl