Die Meinung am Freitag, 3.10.2014, von Zahra Mohammadzadeh

Ich meine, dass die Erinnerung an die DDR-Flüchtlinge in der Prager Botschaft vor 25 Jahren uns aufrütteln und an die Werte unseres Grundgesetzes mahnen sollte.

02.10.14 –

Am Dienstag gedachte Deutschland des historischen Moments, als Außenminister Genscher 4 000 Bürgerinnen und Bürgern der DDR mitteilen konnte, dass sie nach wochenlangem Ausharren auf dem Botschaftsgelände in Prag in die Bundesrepublik einreisen durften. Wie gebannt hatte die Weltöffentlichkeit diesen Augenblick an den Bildschirmen miterlebt. Ein Moment der Freiheit, Demokratie und des Respekts vor den Menschen!

Gleichzeitig sind unsere Medien voll von anderen Bildern, die an Guantanamo erinnern. Ein Flüchtling am Boden eines Aufnahmezentrums, die Hände mit Kabelbindern auf den Rücken gefesselt, im Nacken den Stiefel eines Wachmannes. Solche Bilder machen Angst, nicht nur den Flüchtlingen. Wohin entwickelt sich unsere Gesellschaft?

In Bremen leben ca. 3 000 Flüchtlinge, in Wohnungen oder Unterkünften, Familien, Singles oder unbegleitete Minderjährige, Alleinerziehende, Kinder, Schülerinnen und Schüler, manche schon ArbeitnehmerIn. Friedlich und geduldig warten diese Menschen auf die Möglichkeit eines besseren Lebens. Warum sehen wir diese Mehrheit nicht? Warum sind wir so fixiert auf 15 aus dem Ruder gelaufene Jugendliche, die sich schlagen, zum Messer greifen, stehlen oder auch nur ohne Fahrkarte Bus und Bahn fahren?

Schon werden diese Erscheinungen zum Vorwand genommen, erneut Verschärfungen des Flüchtlingsrechts einzuleiten. Der Bundesinnenminister verlangt, Italien solle mehr Flüchtlinge aufnehmen. Aber Italien allein hat seit der Katastrophe von Lampedusa mit seiner aufwändigen Marinemission „Mare Nostrum" 100 000 Flüchtlinge im Mittelmeer aus Seenot gerettet. Statt anderen Ländern den Unterbringungsnotstand in die Schuhe zu schieben, sollte de Maizière lieber den Kommunen bei der Bewältigung des Problems nachhaltig unter die Arme greifen. Auch die unbegleiteten Minderjährigen sollten nach dem Königsteiner Schlüssel auf die Länder verteilt werden, schon das würde Bremen erheblich helfen bzw. entlasten.

Hinter der berechtigten Entrüstung über die Straftaten einiger Weniger stecken auch Ängste über die innere Sicherheit. Diese Ängste darf man nicht vom Tisch wischen, in ihnen äußert sich auch die Sorge um den Bestand von Gesellschaft und Rechtsstaat.

Die beharrliche, Jahrzehnte lange Debatte über konsequente Neuansätze in der so genannten Ausländerpolitik hat schließlich ihren Wandel zur modernen Integrationspolitik herbeigeführt. Diese als Paradigmenwechsel gelobte Entwicklung wurde von uns Grünen maßgeblich erstritten. Jetzt droht sie, unter dem Druck der „Unterkunftskrise" zurückgedreht zu werden.

Aber noch ist es Zeit, auch in der Flüchtlingspolitik einen Paradigmenwechsel herbeizuführen. Einen ebenso konsequenten Neuansatz, der die Befürchtungen der Bürgerinnen und Bürger ernstnimmt, gegen Kriminalität und Mogelei rechtsstaatlich vorgeht und zugleich darauf besteht, dass dieses Land seiner Verantwortung gegenüber den Menschen in Not gerecht wird.

Keine Frage, Übeltäter müssen ermittelt und vor Gericht gestellt werden. Die Mehrheit der Flüchtlinge aber muss eine Stimme bekommen, muss ins Blickfeld rücken, so wie es damals die DDR-Flüchtlinge waren. Damit nicht eine kleine Minderheit von fünfzehn Gewalttätern letztendlich bestimmt, wie in diesem Land mit Flüchtlingen umgegangen wird.

Kategorie

Migration, Integration, Asyl